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klammer-tag Januar 2025, Erfahrungsbericht, best practice

von Rebekka Recher, Teamleiterin Kindergruppe 4, Heime auf Berg AG

Was steht auf der Titelseite eines Lebens oder weshalb ist es wichtig, die ganz persönlichen Geschichten von im Heim lebenden Kindern zu covern? Diesen Fragen zugewandt hat sich ein Team für die Kinder einer Wohngruppe im Heim auf Berg Seltisberg (BL). Gestartet haben sie das Projekt im Anschluss eines Fachteamtags mit Nils vom Team EQUALS.


Das Team der Kindergruppe arbeitet im Frühbereich und begleitet neun Kinder im Alter von ein bis sechs Jahren. Am Fachteamtag zum Thema „Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung“ ging es in erster Linie darum die Herausforderungen von betroffenen Familien aus wissenschaftlicher Sicht kennen zu lernen. In einem weiteren Schritt reflektierten wir unsere Handlungsmöglichkeiten als Professionelle und suchten Anwendungsbereiche für den Heimalltag auf der Kindergruppe.


Geblieben und in der Umsetzung ist nun eine wichtige Erkenntnis - das Formulieren von cover stories. Übersetzt bedeutet cover „Titelseite“ und auch „Schutz“ oder „Bedeckung“. Bei der Entwicklung von individuellen cover stories geht es im konkreten Fall darum plausible, vereinfachte und alltagstaugliche Formulierungen zu finden auf die Frage: „Weshalb bist du eigentlich im Heim?“. 


Ob auf dem Spielplatz, im Kindergarten oder später in der Schule: diese Frage kann Kinder und Jugendliche unvorbereitet treffen und in unangenehme Situationen bringen. Darauf eine prägnant formulierte Antwort, eben eine cover story, bereit zu haben kann die Selbstwirksamkeit stärken, mit Tabus brechen und Stigmatisierungen entgegenwirken. Die bei uns lebenden Kinder kommen oftmals notfallmässig auf der Gruppe an und bleiben nicht selten über Monate oder sogar Jahre im Kinderheim. In allen Bemühungen des Helfersystems bestehend aus KESB, Heim, Beistandschaften, Familienbegleitung etc., kann es passieren, dass auf der Erwachsenenebene sehr viel über die Kinder und kaum mit ihnen über das, was wirklich gerade passiert, gesprochen wird. So fehlen nicht nur uns als Team, sondern vor allem auch den Kindern, manchmal die Worte. Im schlechtesten Fall interpretieren die Kinder diese Stille so, dass der Grund für die Platzierung sie selber sein müssen.


Während der Umsetzung haben wir gemerkt, dass es uns wichtig ist, als Team eine gemeinsame Sprache zu finden. Wir möchten den Kindern nicht unterschiedliche Botschaften vermitteln, weshalb sie da sind, wie lange sie noch warten müssen, bis sie wieder zu Hause übernachten oder bei ihren Eltern wohnen können. Wir sind überzeugt davon, dass Sprache Wirklichkeit konstruiert und übernehmen Verantwortung, um schon den kleinen Kindern Worte für ihre Geschichte mitzugeben. Deshalb haben wir begonnen, in den Teamsitzungen zusammenzutragen, was die brennendsten Fragen sind und welche Antworten wir darauf geben können. Dabei bearbeiten wir jede cover story individuell. Jedes Kind soll seine ganz persönliche Geschichte kennen, in Worte fassen und so ein Stück weit verarbeiten und - wenn es möchte - auch weitererzählen können.


Die formulierten Antworten werden visualisiert und im Büro aufgehängt. Als Team gelingt es uns so besser, auf die cover stories zurückzugreifen und die Fragen bei Bedarf gemeinsam und altersentsprechend mit den Kindern zu thematisieren. Wir haben nun vielfältigere Antworten auf schwierige Fragen und werden mit jeder Geschichte geübter, die Dinge beim Namen zu nennen und den Kindern die Wahrheit zuzumuten. Beim covern geht es nämlich nicht darum, die Wahrheit zu verschleiern oder zu beschönigen, sondern darum, für die Kinder selbst und für uns als Team eine griffbereite Formulierung zu kennen. Im Team unterstützen wir uns gegenseitig dabei, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben und unangenehme Fragen nicht zu umgehen oder uns davon abzuwenden. Wir lernen, die Realität mit den Kindern gemeinsam auszuhalten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, welcher uns Nils vermittelt hat, ist das gemeinsame Narrativ der cover stories. Wenn die Kinder, ihre Eltern sowie das Helfersystem die gleiche Geschichte erzählen und sich einig sind, weshalb eine Heimplatzierung stattgefunden hat, erzielen die Unterstützungsleistungen ihre Wirkung am Besten. 


So auf die individuellen Geschichten der Kinder eingehen zu können, setzt für uns eine transparente und offene Haltung sowie einen sicheren Ort voraus. Gemäss unserem Leitbild möchten wir dabei eine Atmosphäre der Geborgenheit und des Vertrauens schaffen und in allen Herausforderungen genügend Freiraum für Fröhlichkeit, Fantasie und Kreativität lassen.

 

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